Montag, 10. Februar 2014

Der Kater danach

Gestern Sonntag stimmte die Schweizer Bevölkerung für eine Kontigentierung der Zuwanderung, für die Bevorzugung Schweizer Bürgerinnen und Bürger bei Arbeitsstellen sowie für die Beschränkung ausländischer Migranten und Migrantinnen.
Der Entscheid erfolgte zwar hauchdünn, dennoch zeigt die Abstimmung eines auf: Die SVP hat es geschafft, Ängste und Vorurteile zu schüren, der Wirtschaft und der Moral zu schaden und sich gegen sämtliche logischen Argumente durchzusetzen.
Denn: Dass die Schweiz unter der Einwanderung zu leiden habe, dass die Lebensqualität und die Arbeitslosenquote betroffen seien, ist ein schon fast grotesker Witz: Das reichste Land der Welt, für das wir uns halten, jammert tatsächlich über die Folgen der Personenfreizügigkeit - welche bei uns nachweislich (!) nicht nur mehr Wohlstand, sondern auch ein höheres Lohnniveau sowie eine geringere Arbeitslosenquote gebracht hat.
Den Gegner der Initiative gelang es derweil, trotz der breit gefächerten Ablehnung, nicht, die positiven Aspekte der Beziehungen zur EU faktisch und verständlich darzulegen sowie die Schweizer Bevölkerung von der Unsinnigkeit des Begehrens zu überzeugen. Dies einerseits, weil gerade aufgrund der Wirtschaftskrise ein grosses Misstrauen gegenüber den wirtschaftlichen Kreisen - also etwa den Mitte-Parteien und den Wirtschaftsverbänden - vorherrscht; andererseits weil es die Linke, die Grünen sowie die Gewerkschaften partout nicht schaffen, von ihrem intellektuellen Ross herunterzusteigen und ihr schöngeistiges Geschwätz in ein faktisch fundiertes, verständliches Argumentatorium umzumünzen und das Volk als solches für sich zu gewinnen.

Wie dem auch sei, der Kater wird höchst wahrscheinlich rasch folgen. Die Frage dürfte sein, wie die Abstimmungssiegerin SVP damit umgeht.
Die ersten Reaktionen aus dem umliegenden Ausland sowie aus der Europäischen Union zeigen, dass der Entscheid des Schweizer Volkes nicht ohne Konsequenzen sein wird.
Es wird von Rosinenpickerei gesprochen, davon, dass die Schweiz ökonomische Konsequenzen zu tragen haben werde; ja gar, dass die Bilateralen Verträge zwischen der EU und der Eidgenossenschaft gefährdet seien.

Für viele Schweizerinnen und Schweizer scheinen dies nichts weiteres als Drohgebärden zu sein. Doch die Stimmbürger, jene 50,3%, die sich für die Masseneinwanderungsinitiative ausgesprochen haben, unterschätzen zum Einen den Einfluss und die Macht der EU, zum Anderen überschätzen sie massiv die Wichtigkeit und den Einfluss der Schweiz auf der politischen und ökonomischen Weltkarte.
Höchst wahrscheinlich, und dies ist jetzt meine persönliche Meinung, haben die meisten der Ja-Stimmenden die Vorlage der SVP nicht richtig verstanden. In ihren Augen ging es einzig um die Zuwanderung aus dem Ausland - dabei vergassen oder übersahen die Befürworter die Konsequenz, die eine Annahme der Initiative zur Folge haben wird. Denn es wird nicht nur die Zuwanderung reguliert, sondern die bestehenden Aufenthalte, Geburten von Kindern von Nicht-Schweizern, von Saisonnieren usw.
Hinzu kommt, dass mit der Annahme Schweizerinnen und Schweizer bei einer Stellenbewerbung stets einem "ausländischen Konkurrenten" bevorzugt werden müssen - somit also auch Secondos, die noch über keinen Schweizer Pass verfügen.

Nebst dem Bruch der 2. Menschenrechtscharta der UNO, welche die Schweiz mitunterzeichnet hat (und wir somit gegen geltendes Menschenrecht verstossen) wird dies massive Probleme mit sich bringen. Nicht nur, weil die Schweiz als Wirtschaftsstandort unattraktiv für Grossbetriebe und globale Unternehmungen wird und die staatliche Bürokratie, welche ausgerechnet von der SVP stets kritisiert wird, massiv zunimmt, sondern auch, weil die Sozialwerke der Eidgenossenschaft mehr belastet und beansprucht werden, da Secondos ohne Schweizer Pass grosse Mühe haben werden, eine Arbeitsstellung zu finden.
Andererseits dürfte auch die Reaktion unseres wichtigsten Wirtschaftspartners, der EU, geharnischt ausfallen. Bereits haben mehrere EU-Parlamentarier aus Deutschland, Frankreich, Italien und Schweden eine Aufkündigung der Bilateralen Verträge gefordert - was aufgrund der Guillotine-Klausel, welche in den Bilateralen I vorhanden ist, durchaus möglich ist.
Diese Klausel sieht nämlich vor, dass, wenn eine der Hauptbestandteile der Bilateralen gebrochen wird - und ein solcher Bestandteil ist die Personenfreizügigkeit - sämtliche weitere Verträge innerhalb 6 Monaten aufgelöst werden können.
Sollte dies eintreffen, dürfte die Schweiz ein enormes wirtschaftliches Problem haben; neue Zölle und Hemmschwellen für Schweizer Firmen im europäischen Markt würden auftreten (und bereits diskutieren deutsche Politiker über eine Marktbarriere für Schweizer Unternehmungen).
Daneben, und dies ist ein ebenso wichtiger Faktor, befürchten viele Analysten einen Exodus von internationalen Unternehmungen aus der Schweiz. Insbesondere in der Informatik-Branche könnten Firmen wie Google, IBM oder Microsoft ihren europäischen Sitz aus der Schweiz verlegen, da sie nicht genügend Fachkräfte finden bzw. diese nicht ohne unerheblichen Aufwand rekrutieren können.

Die Folgen wären verheerend für die Schweizer Wirtschaft.
Wie dann mit diesen Folgen umgegangen wird, ist offen. Die Frage, wer die Schuld trägt, derweil klar: Das Schweizer Volk.

Interessant war es gestern auch zu sehen, wie die Siegerin bzw. deren Parteipräsident Toni Brunner reagierte. Es scheint, als habe die SVP kein Patent für eine Annahme der Initiative in der Hinterhand gehabt. Die SVP und ihre Exponenten verstecken sich nun hinter der Formulierung, "dass der Bundesrat nach Brüssel gehen müsse und die Personenfreizügigkeit neu zu verhandeln habe" und "wie der Bundesrat nun damit umgeht, ist seine Sache" (SVP-Nationalrat Luzi Stamm).
Das dies eine "Mission Impossible" ist, ist Diplomaten im In- und Ausland längst bewusst, denn die Personenfreizügigkeit ist eines der wichtigsten Bestandteile der EU; ja sie ist gar eine tragende Säule der Idee "Europäische Union".
Die Strategie hinter solchen wässerigen, substanzlosen Aussagen ist klar: Sollte der Bundesrat bzw. deren Diplomaten nicht erreichen, der EU einen zufriedenstellenden Entwurf vorzulegen, der dem Initiativtext entspricht (und welcher notabene wiederum äusserst schwammig und inhaltlos formuliert wurde), kann die SVP schlicht der Regierung die Schuld in die Schuhe schieben.
Es ist ein gefährliches Spiel, welches die grösste Schweizer Partei sowie die Bevölkerung hier treibt. Dahinter steckt wohl die arrogante, ja gar abstruse Annahme, dass die Schweiz als Wirtschaftspartner schlicht zu wichtig sei, um sie zu ignorieren; dass die Schweiz eine solche ökonomische und politische Weltmacht ist, dass der EU nichts anderes übrig bleibt, um mit uns zu verhandeln.

Das ist ein gefährlicher Irrglaube, der nicht nur unsere Wirtschaft, sondern auch unsere Gesellschaft, unser Wohlstand etc. gefährdet. Doch diese Suppe haben wir nun selbst auszulöffeln.

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