Freitag, 14. Juni 2013

Geniesse den Moment

Ich erinnere mich an eine Zeit, in dem man an ein Konzert ging, es ansah und von den Augenblicken, vom Momentum, von der Musik als solches, hingerissen, ja gar paralysiert war. Man lebte den Moment, man fühlte die Musik, man war eins mit dem Künstler und seiner Musik bzw. seiner durch die Musik verarbeitete Nachricht an die Menschheit.
Bei Balladen wurden Feuerzeuge in die Hand genommen und solange in die Luft gehalten, bis man sich die Finger verbrannte, bei rockigen Songs wurde umher gesprungen, bis man sich den Knöchel verstauchte.
Das waren noch Zeiten.

Heute ist alles ein wenig anders. Wenn man heute an ein Konzert geht und sich nicht gerade in der ersten Reihe platziert, dann sieht man als erstes ein Heer von leuchtenden Displays von Smartphones und Kameras, die scheinbar das gesamte Konzert aufzeichnen. Anstelle Feuerzeuge hält man heute auch sein Handy in die Luft, damit das blassblau schimmernde Display zeigen kann, dass man hier ist. Rumspringen geht gar nicht mehr, denn das iPhone ist ja relativ schnell defekt, primär wenn es einem aus der Hand rutscht und auf den Boden fällt.

Woher rührt diese ungehemmte Neigung, alles und jeden auf seinem Handy verewigen zu wollen? Wieso kann man ein Konzert nicht geniessen, es erleben!, sondern muss es digital speichern und später auf YouTube oder Facebook posten?

Ein Video von einem Konzert dient nicht wirklich der Erinnerung (weil diese besteht ja daraus, dass man während einem Konzert etwa 3 Stunden auf einen Display gestarrt hat), sondern eher dem Status, den man mit so einem Filmchen bei Kollegen und Bekannten erhält. "Wow, das Konzert muss geil gewesen sein!", kommentieren diese Bekannten dann das Video. Leider weiss man selber keine Antwort darauf, weil man eh nichts mitbekommen hat, aber immerhin. Der Status von einem selbst ist bei den Bekannten nun gestiegen, es wird zustimmend genickt, auf Facebook erhält man zig "Likes", der eigene Musikgeschmack wird bewundert. Dass man vorgängig für den Gig auf ricardo.ch die Tickets zum X-fachen des normalen Preises ergattern konnte, ist dabei irrelevant.
Ausserdem gibt es nichts schöneres, als das Filmchen immer wieder anzusehen, um damit die Erinnerung (welche ja bekanntlich nicht gerade optimal ist) immer wieder aufleben zu lassen.

Jedoch hat dies und das ganze Verhalten nicht viel mit Musik zu tun.
Anstelle ein Filmchen zu drehen, sollte man besser das Konzert wieder geniessen und sich die Bilder auf der humanen Festplatte namens Gehirn abspeichern. Denn auf diese Weise entfallen auch nicht die genialen Erzählungen, die man dann seinen Kindern vorhalten kann. Ich werde zum Beispiel immer blass vor Neid, wenn mein Vater von Gigs von Pink Floyd oder Black Sabbath erzählt, wie wild und hemmungslos damals alles war, wie sphärisch-melancholisch Pink Floyd ihre Songs zum Besten gaben, wie brutal und schnörkellos Ozzy Osbourne ins Mikro schrie.
Aber was macht man heute? Wenn dein Kind kommt und fragt: "Daddy, warst du mal an einem Konzert von Gossip?", was antwortest du?
"Ja, war ich, ich hab' sogar ein Film gemacht mit meinem Handy, leider ist der futsch, weil das Format heute nicht mehr wiedergegeben werden kann." Da fragt dein Kind: "Aber wie war's? Muss ja der Hammer gewesen sein!" Und du musst antworten: "Keine Ahnung, war mit Filmen beschäftigt."

Also, liebe Konzert- und Festivalgänger:
Packt eure Kamera und euer Handy weg, nehmt Feuerzeuge und festes Schuhwerk mit und geniesst den Moment eines Konzertes - jenen Moment, an dem dir bewusst wird, dass du gerade jetzt etwas einzigartiges erleben darfst; jenen Moment, an dem du begreifst, was für wundervolle Musik der Künstler gerade zum besten gibt. Und für diesen Künstler ist es auch schön, wenn die Meute vor ihm nicht die ganze Zeit mit ihren Bilderfassungsgeräten beschäftigt ist, sondern in seiner Kunst, in seinem Schaffen, dahinschwelgt, mitgeht, mitfiebert.

PS: Hier noch eine Aussage von Roger Waters (Pink Floyd) in einem Interview bezüglich Handy bei Konzerten:

"Die Handys im Publikum nerven mich wahnsinnig. Die Menschen schauen während der Show nur auf ihre kleinen Computer. Das ist total absurd. Statt dabei zu sein, filmen sie alles, um es später mitzuerleben. Am liebsten würde ich diese Unsitte verbieten lassen, aber das ist zu teuer. Bei ­einer Show in Athen konnte ich einmal allen das Handy wegnehmen lassen: Es wurde wundervoll!"

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